Interview mit Baris, Notfall­sanitäter

„Alle Achtung!”

Kurze Vorstellung bitte: Wer sind Sie, was machen Sie?

Ich bin Baris und als Feuerwehrbeamter in Berlin-Neukölln auf der Feuerwache tätig. Dabei sind meine Aufgaben sehr vielfältig: Ich fahre auf dem Löschfahrzeug, der Drehleiter und dem Rettungswagen. Aufgrund meiner Qualifikation als Notfallsanitäter findet ein Großteil meiner Arbeit aber hauptsächlich im Rettungsdienst statt.
 

Wie sind Sie zur Feuerwehr gekommen und warum?

Seit ich denken und laufen kann, war es mein Ziel, zur Berufsfeuerwehr zu gehen. Ich bin jetzt seit zwölf Jahren bei der Berliner Feuerwehr.

Ich habe einen Bruder, der acht Jahre älter ist und bereits nach der Schule im Rettungsdienst gearbeitet hat. Das fand ich super interessant und nahm mir vor, nach der Schule genau das Gleiche zu machen. Damals hieß die Qualifikation noch Rettungsassistentin bzw. Rettungsassistent, die später durch die Ausbildung zur Notfallsanitäterin bzw. zum Notfallsanitäter ersetzt wurde. Ich habe die Ausbildung absolviert, drei Jahre im Rettungsdienst des Berliner Umlandes gearbeitet und mich anschließend bei der Berliner Feuerwehr beworben.
 

Kurz und knapp: Was sind die Hauptqualifikationen, die Sie aus Ihrer Ausbildung mitgenommen haben?

Im Arbeitsalltag habe ich noch einmal ganz anders gelernt als auf der Schulbank. Als 19-Jähriger plötzlich allein Entscheidungen treffen zu müssen, ist eine große Herausforderung, mit der ich zunächst zurechtkommen musste.

Mitgenommen habe ich vor allem Situationen, die einer rechtlichen Betrachtung bedürfen. Was darf ich? Was ist nicht erlaubt? Hier befindet man sich sehr oft in komplexen Sachverhalten, zum Beispiel wenn es sich um psychische Krankheitsbilder handelt. Dahingehend wurde ich gut vorbereitet. Ebenso war der medizinische Bereich sehr lehrreich, vor allem hinsichtlich der Medikamentenvergabe und der damit verbundenen Auswirkungen.  Ich hatte mit allen Fachbereichen Berührungspunkte und habe viel von der Chirurgie, der Urologie oder der Psychiatrie gelernt.

Welche drei Eigenschaften sollte jemand mitbringen, der Notfallsanitäterin oder -sanitäter bei der Feuerwehr werden möchte?

Es ist auf jeden Fall vorteilhaft, kommunikativ zu sein, Verständnis und Geduld sind wichtig. Man sollte in der Lage sein, Entscheidungen zügig zu treffen. Außerdem ist Menschenkenntnis sehr hilfreich, auch um ein Gefühl für bestimmte Situationen zu bekommen. Durch die tägliche Arbeit mit den Menschen eignet man sich das im Job aber auf jeden Fall schnell an.
 

Was finden Sie an Ihrem Job toll?

Ich mag das Unvorhersehbare. Ich fange meinen Dienst an und weiß nicht, was passieren wird. Keine Schicht ist wie die andere, und das ist das Schöne. Und: Wir sehen viele Orte und kommen in Kontakt und ins Gespräch mit den Bürgerinnen und Bürgern unserer Stadt.
 

Was macht eine gute Notfallsanitäterin bzw. einen guten Notfallsanitäter aus?

Die Kommunikationsfähigkeit ist wichtig. Es gibt immer Höhen und Tiefen. Wichtig ist, dass man sich auch noch nach vielen Jahren im Einsatzdienst immer wieder vor Augen hält, warum man diesen Beruf gewählt hat. Jede Situation, zu der wir fahren, ist für die Bürgerinnen und Bürger eine Ausnahmesituation, in der sie unsere Hilfe benötigen. Dessen sollte man sich bewusst sein, auch wenn ein vorheriger Einsatz nicht optimal verlaufen ist und man vielleicht vorher von jemandem beschimpft wurde.
 

Notfallsanitäterinnen und -sanitäter werden leider immer wieder angegriffen, körperlich und mit Worten. Was haben Sie erlebt?

Eine ganze Menge habe ich da schon wieder abgeschüttelt und vergessen. Das passiert im Rettungsdienst immer wieder, auch, weil wir oft mit Personen zu tun haben, die sich in extremen Situationen befinden, unter Einfluss von Alkohol oder Betäubungsmitteln stehen oder psychisch krank sind. In derartigen Momenten können die Menschen nicht mehr rational denken.  

Eine prägende Situation ist schon ein paar Jahre her. Da wurden wir in die Sonnenallee in Neukölln gerufen. Der Notruf lautete: Auf dem Parkplatz eines Supermarktes liegt eine hilflose Person. Wir kamen an und sahen, dass der obdachlose Mann quer im Eingang lag. Er war nicht mehr in der Lage aufzustehen. Neben ihm saßen andere Männer, vermutlich seine Kumpels, und tranken Alkohol. Ich habe ihn angesprochen und erklärt, dass er aus dem Eingangsbereich rauskommen soll. Wir haben ihm aufgeholfen und in einen Plastikstuhl gesetzt, der da zufällig stand. Plötzlich kippte die Situation. Der Patient ging mir an den Kragen und wollte mich nicht mehr loslassen. Ich habe dann per Funk meinen Kollegen gebeten, die Polizei zu holen.

Der Patient ging mir an den Hals, ich habe versucht, mich zu befreien, und dann lagen wir beide auf dem Boden. Es kam zu einer Rangelei, und auf einmal kamen noch weitere Personen dazu, die über mich hergefallen sind. Mein Kollege war im Rettungswagen am Funk und hat davon nichts mitbekommen. Am Ende wurde mir die Kleidung vom Leib gerissen. Ich stand oberkörperfrei auf der Sonnenallee und war von oben bis unten mit Blut des Patienten beschmiert.

Mein großes Glück war ein Polizeiwagen, der zufällig auf der anderen Straßenseite stand. Die zwei Polizisten haben das Geschehene beobachtet und sogleich geklärt. Der Fall ging sogar bis vor Gericht. Das war sehr überraschend, auch weil es das erste Vergehen der Männer war. Am Ende mussten die beiden Haupttäter ins Gefängnis.   
 

Einsätze werden auch anderweitig immer wieder gestört. Haben sich aus diesen Störungen Konsequenzen für Betroffene (Unfallopfer etc.) ergeben?

Es gibt ein paar goldene Regeln, die wir im Rettungsdienst haben. Eine davon ist zum Beispiel, dass wir versuchen, Patientinnen und Patienten möglichst nicht auf der Straße zu behandeln, sondern im Rettungswagen. Das ist unser Bereich, in dem wir die Patientinnen und Patienten adäquat und abgeschirmt behandeln können.  

Es gibt aber auch viele Menschen, die helfen möchten. Das ist natürlich gut gemeint und lobenswert, aber manchmal störend, insbesondere bei kritischen Situationen.   
 

Wie fühlen Sie sich, wenn Sie bei einem Einsatz körperlich oder verbal angegriffen werden?

Grundsätzlich versuche ich, die Situation professionell zu bewältigen. Erst im Nachhinein kommen Unverständnis, vielleicht eine gewisse Wut und manchmal auch Selbstzweifel auf.  Dann frage ich mich, ob ich anders mit der Situation hätte umgehen können.  

Ein Beispiel: In einem Nachtdienst wurde ein Kollege körperlich angegriffen. Ein älterer Herr ist im Treppenhaus eskaliert und hat ihn trotz Handfesseln nach unten gestoßen. Da mache ich mir Gedanken, wie ich mit der Situation umgegangen wäre bzw. was ich hätte tun können, dass so etwas nicht passiert.
 

Was müsste passieren, damit solche Störungen bei Einsätzen nicht mehr vorkommen?

Ich glaube, dass sich das nicht ganz vermeiden lässt. Ein wichtiger Aspekt ist meines Erachtens das gegenseitige Verständnis und auf seine Mitmenschen achtzugeben. Wenn wir bei Einsätzen angegriffen werden und daneben stehen Menschen, würde ich mir mehr Hilfe wünschen.

Auch Aufklärungsarbeit zur Stärkung der Resilienz der Bevölkerung ist ganz wichtig. Nicht jeder Anruf bei uns ist ein Notfall. Hier gilt es, die Bevölkerung zu sensibilisieren, in welchen Fällen es richtig und wichtig ist, die Notrufnummer zu wählen. Dadurch eingesparte Ressourcen stehen für andere Einsätze zur Verfügung.

Ganz praktisch: Was hilft Ihnen, damit Sie anderen helfen können?

Mir würde es helfen, wenn mehr Verständnis der Bürgerinnen und Bürger für manche Situationen während meiner Arbeit aufgebracht wird. Gerade im Straßenverkehr begegnen wir oft großen Herausforderungen, die gemeistert werden müssen. Da hilft es beispielsweise, wenn wir unkompliziert die Straße absperren können. Das ist für mich Anerkennung an der richtigen Stelle.
 

Warum ist Respekt gegenüber dem Rettungsdienst wichtig?

Respekt sollte immer gegenseitig erfolgen. Ich als Einsatzkraft respektiere die Patientin und den Patienten und leiste die Hilfe, die benötigt wird. Dafür habe ich mich bewusst entschieden. Im Gegenzug ist es aber auch wichtig, dass wir als Einsatzkräfte respektiert werden. Wir leisten einen Dienst an der Allgemeinheit zum Wohle aller und stehen für ein friedliches Miteinander ein. Ein wichtiger Aspekt, um auch in Zukunft den Beruf gern auszuüben.  

Ein Beispiel dafür waren die Silvesterübergriffe. Als das Thema eine gewisse Medienrelevanz hatte, haben wir viel Zuspruch aus der Bevölkerung bekommen. Bei dem Großteil der Bevölkerung herrschte Unverständnis über diese Ereignisse und wir werden nach wie vor als Helferinnen und Helfer angesehen. Das hat mir und vielen anderen Einsatzkräften Kraft gegeben.
 

Was würden Sie den Bürgerinnen und Bürgern in einem ruhigen Moment manchmal gerne sagen?

Ein Rettungswagen ist eine knappe Ressource. Ich erwarte mehr Selbstständigkeit von den Bürgerinnen und Bürgern, insbesondere wenn die Situationen kein Notfall ist und offensichtlich selbst gelöst werden kann.    

Jeden Tag begegnen uns Menschen, die von unseren Rettungswagen beziehungsweise dem Martinshorn genervt sind. Das ist auch für uns sehr laut und anstrengend. Da würde ich mir mehr Respekt und mehr Verständnis für unsere Arbeit wünschen.
 

Konkret: Wenn Sie sich etwas von den Bürgerinnen und Bürgern wünschen könnten, was wäre das?

Mehr Selbstständigkeit. Das ist nur eine vage Vermutung, aber ich denke, dass diese Selbstständigkeit ein bisschen verloren gegangen ist, vor allem bei der jüngeren Generation.  Für alles gibt es eine Dienstleistung, die man in Anspruch nehmen kann. Natürlich sind wir auch Servicedienstleister, aber eben kein Transportmittel. Ich würde mir wünschen, dass die Leute wieder mehr Verantwortung übernehmen und uns dann rufen, wenn es sich um einen tatsächlichen Notfall handelt.

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